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1984 – Dystopie, Realität oder Zukunftsvision?

Das Buch „1984“ von George Orwell ist schon lange bekannt und viel zitiert, wenn es um das Thema Überwachungsstaat geht. Gerade auch in neueren Debatten zum Thema Datenschutz hört man selbst hochrangige Politiker dieses eine Werk immer wieder als Warnung anführen. Doch die Dystopie, die in vielen Aspekten schon Wirklichkeit ist umfasst noch viel mehr als „nur“ den Überwachungsstaat. Es geht unter anderem auch um das Verbot von Liebe und Erotik oder den Verlust der Individualität. Die ganze Atmosphäre des Buches ist bedrückend und zugleich eine Warnung, in mehr als nur eine Richtung. Dieses als Theaterstück umzusetzen stellte ich mir anspruchsvoll vor. Am Sonntagabend war es dann soweit und ich durfte „1984“ im Studio des Schauspielhauses sehen.

Das Stück beginnt. Monoton, fast maschinell ertönen drei beängstigend gleich betonende Stimmen. Sie erzählen von Krieg, Sicherheit und der Partei, während auf einem großen Bildschirm die drei Leitsätze der Partei

„KRIEG IST FRIEDEN

FREIHEIT IST SKLAVEREI

UNWISSENHEIT IST STÄRKE“

gefolgt von dem berühmten „Der große Bruder sieht dich“ (engl. „Big brother is watching you“) erscheinen. Als die „Personen“, die sprechen durch den Bildschirm auf den vorderen Teil der Bühne treten, erschreckt man ein wenig. Es handelt sich um drei exakt gleich angezogene, Figuren in roten Anzügen mit High Heels, völlig haarlos und ohne Gesichtsszüge. Sie starren einen völlig ausdruckslos an und man hat das starke Gefühl beobachtet zu werden.

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Die Atmosphäre ist von Anfang an gedrückt. Man hat irgendwie ein klammes Gefühl. Als würde etwas ganz und gar nicht stimmen. Hauptsächlich verursacht wurde dieses Gefühl bei mir durch die drei „Personen“, die doch irgendwie keine Identität hatten. Sie starrten einen das ganze Stück über an. Eine Stunde und vierzig Minuten lang. Und diese Umsetzung finde ich persönlich genial. Im Roman wird jeder Bürger ständig durch sogenannte „Televisoren“ und einige andere Maßnahmen überwacht. Einfach einen Bildschirm an die Wand zu hängen hätte aber niemals dieses beklemmende Gefühl des beobachtet werdens auslösen können. Diese drei Personen aber, lösten es gerade auch dadurch, dass sie keine Individualität haben, dass sie völlig synchron sprechen und keine eigenen Gedanken neben den Grundsätzen der Partei haben, aus.

Der ständigen Überwachung sind sich auch Julia und Winston bewusst. Die beiden verlieben sich und führen heimlich eine (auch) erotische Beziehung miteinander. Erotik und Liebe sind eigentlich von der Partei aus verboten und Julia sogar Mitglied der „Anti-Sex-Liga“. Wie sich herausstellt gibt sie aber nur zum Schein nach außen hin das linientreue Parteimitglied und hatte auch vor Winston schon einige Liebhaber. Winston selbst schreibt Tagebuch, was an sich schon ein Akt der Rebellion ist. Er und Julia entschließen sich, sich einer Widerstandsbewegung namens „Die Bruderschaft“ anzuschließen und sind wild entschlossen alles zu tun, um die Partei zu stürzen. Dabei ist beiden ihre aussichtslose Lage klar. Sie wissen, dass sie eines Tages gefasst, gefoltert und getötet werden und dass sie einander dann verraten müssen. Doch der wahre Verrat, wäre nur, wenn das Gefühl, das sie haben verschwände und das, so sind sich beide sicher, kann ihnen selbst die übermächtige Partei nicht nehmen!

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Doch es kommt, wie es kommen musste und die beiden werden gefasst. Verraten durch ein Mitglied der „Gedankenpolizei“. Auch Winstons Tagebuch wird entdeckt, in dem er seine Gedanken dazu, dass die Partei die Vergangenheit so fälscht, dass sie immer mit der Gegenwart übereinstimmt festgehalten hat. Er schrieb einmal:

„Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei und zwei vier sind“.

Aber dem ist nicht so. Wenn die Partei festlegt, dass zwei und zwei fünf ist, dann ist das so. Also wird Winston in das Ministerium für Liebe gebracht und dort solange gefoltert, bis er nicht nur sagt, zwei und zwei sei fünf, sondern es auch glaubt. Sie bearbeiten ihn unter anderem mit Elektroschocks und bringen ihn letzlich dazu aus voller Seele zu schreien, dass sie das doch nicht ihm antun sollen, sondern jemand anderem. Sie sollen es Julia antun.

Ich wusste, schon bevor ich das Stück besuchte, dass Winston von der Partei gefoltert wird. Doch die Umsetzung war wirklich oskarreif. Ich muss sagen, dass ich Christian Kämpfer wirklich bewundere dafür, wie er schrie und litt und fast wahnsinnig wurde, ohne im realen Leben auch nur einen Funken Schmerz zu empfinden.

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Die Umsetzung der Geschichte, die eigentlich mehrere Jahre dauert wurde durch eine Art Vor- und Zurück- „spulen“ gelöst. Zu Anfang gleich sah man sich Winston und Julia der Bruderschaft anschließen. Daraufhin wurde „zurückgespult“ und die beiden lernten sich erst kennen. Diese Umsetzung war zu Anfang ein bisschen gewöhnungsbedürftig, hat mich aber letztlich doch überzeugt.  Das Stück wurde im Studio des Schauspielhauses aufgeführt. Einem relativ kleinen Raum, in den gerade einmal einhundert Zuschauer passen. Durch diesen kleinen Raum, saß man den Personen gegenüber, konnte ihnen wirklich direkt in die Augen sehen, wurde aber auch das Gefühl der Beobachtung nicht los. In einem größeren Saal, wäre dieses vermutlich nicht in diesem beeindruckenden Maße herübergekommen, da man sich dort in der Masse hätte verstecken können.

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Zum Schluss muss ich sagen, dass mich die Umsetzung wirklich überzeugt hat. Man ging mit einem ganz fahlen Beigeschmack aus dem Theater und kam auch nicht umhin sich ein paar Gedanken um den Bezug zur Gegenwart zu machen. Klar, wir haben nicht eine Partei, die herrscht und das System ist bei weitem nicht so totalitär wie in George Orwells Dystopie. Und doch sind erschreckend viele seiner Horrorvorstellungen für uns schon akzeptierte Realität. Wir werden im öffentlichen Raum fast überall überwacht – um unsere Sicherheit gegenüber Terroristen gewährleisten zu können. Seit den Anschlägen in Großbritannien gibt es dort kaum noch einen Ort, wo man nicht mehr überwacht wird. Die Datenschutzgesetze werden auch in Deutschland immer schwammiger und gerade erst vor einigen Tagen wurde in Bayern ein Gesetzesentwurf vorgelegt, der unter anderem die Überwachung sogenannter „Gefährder“ durch Drohen oder Bodycam vorsieht (siehe hier). Hier sollen wie in „1984“ schon bevor überhaupt ein Verbrechen begangen wurde ,Maßnahmen eingeleitet werden. Wie weit ist da noch der Weg zum „Gedankenverbrechen“, oder ist der einzige noch bestehende Unterschied der Name?

Aber irgendwie sind wir ja auch selber Schuld. Wir stellen massig Daten freiwillig ins Netz. Man muss uns nicht aufzwingen uns zu verwanzen, nein wir kaufen uns unsere eigene Wanze für 100€ im Netz (Alexa sei dank). Spätestens seit Snowden sollte jeder wissen, dass sein Smartphone inklusive Kamera überwacht wird und trotzdem kleben die wenigsten sie ab. Wir wissen dass wir überwacht werden. Das Problem ist nur, dass es die wenigsten wirklich stört.

 

Bilder von Olaf Struck

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