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Der Teufel trägt Lack – Was ist hier „gut“ und was „böse“ ?

„Es lebe die Freiheit! Es lebe der Wein“ – Goethe

Ein Mann sitzt lebensmüde an seinem Schreibtisch. Um ihn herum tausend Bücher, tausend Schriften. An den Wänden hängen Titel und Auszeichnungen, die er in seinem Leben erworben hat. Die Menschen lieben ihn für das, was er der Welt gibt. Sie lieben ihn, dafür, dass er gut ist in dem was er lehrt, dafür, dass er im Sinne der Gesellschaft ein erfolgreiches Leben geführt hat. Und doch sitzt er lebensmüde an seinem Schreibtisch und sieht keinen Sinn mehr, weil er nie einen gefunden hat. Nicht in all seinen Schriften, nicht in all seinen Bemühungen. Doch dann erscheint umgeben von Nebelwolken und düsterer Musik eine Gestalt. Sie trägt Lackhosen und Springerstiefel. Man ist sich nicht sicher, ob Mann oder Frau doch man weiß, sie kann nur eines sein: Der Teufel selbst. Sie bietet dem Mann an, ihm zu zeigen, „was noch kein Mensch gesehn“. Zuerst fiebert man mit. Man möchte nicht, dass der Mann sich den Sünden hingibt und damit sein ganzes bisheriges Leben hinschmeißt. Man möchte, dass er fromm weiterlebt, um in den Himmel zu gelangen. Doch dann zeigt ihm der Teufel die Freuden dieser Welt und man fragt sich, ob nicht er derjenige ist, der in diesem Spiel der Gute ist. Ob nicht er es ist, der den alten Mann rettet. 

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Foto: © Olaf Struck

Das sind die Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, nachdem ich „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe im Theater Kiel gesehen habe. Faust ist zwar um einiges älter und um einiges gebildeter als ich es bin, aber dennoch konnte ich mich teilweise sehr gut mit ihm identifizieren. Wie oft habe ich schon über irgendwelchen Studienunterlagen gesessen und mich gefragt, wozu ich das alles eigentlich mache? Wie oft lag ich nachts schon stundenlang wach und habe mir Gedanken darüber gemacht, was ich eigentlich vom Leben möchte? Wie oft die Gesellschaft und ihre Moralvorstellungen hinterfragt, die doch zu einem großen Teil aus der Religion stammen? „Faust“ ist ein Stück, dass all diese Fragen erneut aufwirbelt. Gott und der Teufel wetten darum, dass es nicht möglich sei, den frommen Faust vom rechten Weg abzubringen. Und dann zeigt der Teufel in verführerisch weiblicher Gestalt und vor allem in Lackhosen Faust die Freuden dieser Welt. Er geht mit ihm feiern, ob in Kneipen oder zur Walpurgisnacht auf den Blocksberg und er hilft ihm, Gretchen, die bis dahin jungfräulich und fromm war, zu verführen. Dummerweise sterben dabei Gretchens Mutter, Gretchens Bruder und das ungewollte Kind, dass Faust und Gretchen zeugen. Doch was neu geboren wird, ist das Feuer in Faust Herzen, das wohl nie zuvor so hell brannte. 

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Foto: © Olaf Struck

Ich finde, das Theater Kiel hat es geschafft den klassischen Text in Reimform gesprochen mit unserer Zeit heute zu verbinden. Irgendwo zwischen dem Diesseits und dem Jenseits Seile zu spannen, die die Konflikte dessen, was die Menschen damals wollten mit der Religion und dessen, was die Menschen heute wollen mit den gesellschaftlichen Normen versinnbildlichen. Die Bühne war durch Seile in zwei Bereiche getrennt. Zum einen spielten sich hinter den Seilen Handlungen aus dem Jenseits ab. Zum anderen wurden viele der Handlungen, die im Sinne der Religion „falsch“ oder „sündig“ wären hinter den Seilen gezeigt. In dem Sinne interessant, dass am Anfang des Stückes Gott hinter und der Teufel vor den Seilen stand. Insgesamt fühlte man sich Mephistopheles (alias „der Teufel“) viel verbundener als Gott, der in dem Stück nur einmal auftaucht und großkotzig erklärt, nichts könnte den frommen Faust vom rechten Weg abbringen. Der Teufel hingegen verkörperte pures Leben, aber auch Egoismus. Gretchen, so fromm, fühlte sich allein schon durch seine Anwesenheit schlecht. Vielleicht, weil sie ahnte, was sie eigentlich wollte, ihr aber verboten war? 

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Foto: © Olaf Struck

Allgemein wurde in dem Stück viel mit Musik und Nebel gearbeitet. Ganz vorne an der Bühne befand sich eine Art Höllenschlund, aus der Mephistopheles zu Beginn des Stückes episch emporfuhr. Die Seile in der Mitte der Bühne waren meiner meiner Meinung nach zu Beginn der Inszenierung etwas befremdlich, weckten dann aber mehr und mehr meine Begeisterung, denn sie machten nicht nur Grenzen klar, sondern auch, wie durchsichtig und leicht verschiebbar sie sind. Grenzen an sich setzen wir uns meistens selbst, was bedeutet, dass wir auch selbst die Kraft haben, sie zu verschieben oder zu übertreten. Was dann passiert ist unklar, denn was sich hinter einer Grenze befindet ist meist nur verschwommen zu sehen. Und doch lohnt es sich oft, etwas zu wagen, sich dem Teufel in weiblicher Gestalt hinzugeben und den Moralvorstellungen anderer Menschen etwas entgegenzusetzen. Denn nur wer weiß, was er selber will und danach handelt, hat die Chance glücklich zu werden. Wer sich strikt an fremde Regeln hält dagegen ist oft, wie die sterbende Gretchen am Ende des Stückes, gefangen zwischen zwei Welten: dem, was für die Gesellschaft richtig wäre und dem, was man selbst für richtig hält. 

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Foto: © Olaf Struck

Daher kann ich nur empfehlen, mal wieder ins Theater zu gehen und sich dieses Stück, auch wenn der ein oder andere durch seine Schulzeit vorbelastet sein könnte und eine gewisse Abneigung dagegen hegt, anzusehen. Sich selbst in eine Welt zwischen poetischer Sprache vergangener Zeiten und aktuellen Problemen, die wir alle in uns tragen, entführen zu lassen. Mit den Schauspielern mitzufiebern, sich zu gruseln, wenn eine dunkle Gestalt direkt vor einem aus einem Höllenschlund emporfährt und zu weinen, wenn Gretchen ihren Bruder verliert. Denn:

„Ich fühle Mut mich in die Welt zu wagen, 

Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,

Mit Stürmen mich herumzuschlagen

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen“.

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