Gestern Abend wurde in der Kieler Oper die Premiere von „Sweeney Todd“ gezeigt. Ich, als kleiner Grufti, sah das als Anlass, um mich, mit einem Freund zusammen ein wenig in Schale zu werfen und voller Vorfreude dorthin zu gehen. Wir kannten beide den Film, in dem Johnny Depp, Helena Bonham Carter und Alan Rickman die Hauptrollen spielen und liebten ihn. Genau deswegen erschien es uns umso schwieriger, dieses Meisterwerk von Filmkunst irgendwie in eine Oper zu packen und dann auch noch auf deutsch zu singen. Wir waren gespannt und zugleich auch kritisch.

Der Vorhang hebt sich, ein London des 19ten Jahrhunderts kommt zum Vorschein. Ein London voller einfacher Leute in schönen, aber etwas heruntergekommenen Kleidern, die vermutlich schon ihre Eltern trugen. Ein London voller Gestank und voller Leben. Ein London, dass es so kein zweites Mal gibt. In diesem London voller Widersprüche spielt die Geschichte von Sweeney Todd. Sweeney Todd hieß eigentlich einmal Benjamin Barker und verliebte sich als junger Mann in seine Lucy. Diese bildschöne Frau wurde allerdings auch von anderen Männern begehrt. Der angesehene Richter der Stadt schickt Benjamin mit falschen Anschuldigungen nach Australien, vergewaltigt dessen Frau Lucy und wirft sie anschließend in die Gosse. Nur die Tochter von Lucy Joanna beschließt er selber großzuziehen.
15 Jahre später kehrt Benjamin Barker unter dem falschen Namen „Sweeney Todd“ in sein London zurück und beschließt sich zu rächen. Als Barbier packt in die Rachsucht aber so sehr, dass er nicht nur den Richter und die, die ihm damals halfen umbringt, sondern noch viele viele mehr. Diese Menschen verarbeitet er dann mithilfe von Mrs. Lovett, die in ihn verliebt ist seit er das Land verließ, zu Pasteten,die die ganze Stadt liebt.Das Blut fließt und spritzt und am Ende kommt es so, dass seine Lucy auf seinem Rasierstuhl sitzt. Sweeney erkennt sie in ihren Armenkleidern aber nicht und erkennt erst, was er getan hat, als seine Liebste schon tot ist.

Soviel zur Story. Ich muss sagen, dass die Oper mir wirklich gut gefallen hat. Das Bühnenbild und die Kostüme sorgten dafür, dass man sich sofort auch als Zuschauer im 19ten Jahrhundert in London wiederfand. Nur der Gestank fehlte (zum Glück). Die Musik und der Gesang gefielen mir bei dieser Oper unfassbar gut. Alles wirkte ein wenig düster und verwegen, wobei des häufigeren düstere Rachsucht mit fröhlicher Heiterkeit gemischt eine absurde Mischung darstellte, die einen zum Lachen brachte. Überhaupt war das Stück unfassbar humorvoll und zwar mit genau der Art Humor, die ich liebe: abgrundtief schwarzer Humor. Und trotzdem handelte es sich um eine ernsthafte Geschichte.
Ich finde, dass die Besetzung für Sweeney Todd wirklich gut gewählt war. Sweeney selber hatte ein so herrlich bösartiges Funkeln in den Augen und der Richter eine natürliche Dominanz, die nicht zu überbieten war. Mich persönlich hat das Stück aber auch noch auf einer ganz anderen Ebene beeindruckt. Ich finde, dass es auf eine beeindruckende Art und Weise das Böse im Menschen dargestellt hat. Ich meine, wir sind alle nicht perfekt, aber ist der Mensch an sich gut? Ich würde gerne mit Ja antworten, denn dann wäre die Welt bestimmt ein schönerer Ort, aber es gibt auch etwas in uns, dass definitiv nicht gut ist. Menschen fügen einander Leid zu und haben manchmal Spaß an Sachen , die anderen schaden. Das einfachste Beispiel dafür ist Mobbing in der Schule. Das beweist schonmal, dass es mindestens eine Person unter 20 gibt, die ihre eigene Freude aus dem Leid anderer zieht, wenn nicht viel mehr. Und trotzdem habe ich immer irgendwo Mitleid mit diesen Menschen, die viele zu einfach nur als „böse“ sehen.

Kein Mensch ist von Grund auf Böse, es gibt psychologisch gesehen immer einen Grund, warum wir uns so verhalten, wie wir es tun. Und wenn sich jemand anderen gegenüber bösartig verhält, dann meistens, weil ihm selbst schon so viel Schlimmes wiederfahren ist. So verhält es sich auch mit Sweeney, dessen Vorgeschichte so traurig und ungerecht und für den man plötzlich, als er seine tote Liebe in den Armen hält auch wieder Mitleid empfindet. Und das, obwohl er einen Großteil der Zeit mit funkelnden Augen und einem Grinsen, das kaum zu beschreiben ist, Menschen die Kehle durchschnitt, um sie dann zu Pasteten verarbeiten zu lassen. Genau wie Mrs. Lovett, die ihm hilft die Toten wegzuschaffen und Delikatessen herzustellen nicht böse ist. Sie ist nur verzweifelt verliebt in jemanden, der ihre Liebe nicht will. In jedem von uns steckt irgendwo etwas, was nicht gerade gut ist. Doch das gehört zum Mensch sein dazu. Die verschiedenen Wege der Menschen damit umzugehen, sind faszinierend – finde zumindest ich.
Alles in allem hatte ich einen wundervollen Abend, an dem sich mir die Nackenhaare aufstellten, ich nicht aufhören konnte zu lachen und kurz vorm Weinen stand. Ich wurde trotz meiner hohen Erwartungen alles andere als enttäuscht und würde jedem, der die Chance hat raten, dieses Stück zu besuchen.
Fotos: Olaf Struck