Manchmal bin ich ein kleiner Hippie. Das gebe ich gerne zu. Ich bin für die

Legalisierung von Cannabis, höre leidenschaftlich gerne Nirvana-Platten und schlafe nach Konzerten in fremden Städten im Auto. Ich trampe, bin dafür, dass jeder jeden lieben können und dürfen soll wie er/sie will, knüpfe Makrame-Schmuck und habe meinen eigenen Garten, indem ich Gemüse anpflanze. Letztes Jahr habe ich sogar das Hippie-Dorf „Beneficio“ in Spanien besucht. Dabei ist mir vieles klargeworden.
Die Beschreibung von „Beneficio“ klang für mich wie ein Traum. Ein anarchistisches Hippie-Dorf in den Bergen. 300 Menschen sollen dort permanent leben, im Sommer viel mehr (auch viele Touristen, wie ich einer war). Es hieß, das Dorf sei hoch oben auf einem Berg. Als ich per Anhalter dort ankam, erfuhr ich was das bedeutet: 10 Minuten mit dem Auto vom nächstgelegenem Dorf aus. Zwei, vielleicht drei Stunden zu Fuß. Kurz nachdem ich das kleine, handgemalte Ortsschild „Beneficio“ passiert hatte, kam eine sehr dünne Frau mit langen Dreads in einem weißen Kleid auf mich zu, umarmte mich herzlich, schenkte mir einige Weintrauben und sagte: „Welcome home!“. Es war wie aus einem Film. Ich sah ein selbstgebautes Haus, viele Zelte, ein Feuer an dem Leute saßen, Musik machten und einen Joint rauchten. Hier würde mich so schnell nichts mehr weg kriegen.
Ich suchte mir also einen Platz für mein Zelt. Möglichst nah am Wasserfall wollte ich es

aufstellen. Der Wasserfall war eine kleine Enttäuschung für mich, da er wirklich sehr sehr klein war und mehr so vor sich hin-plätscherte. Aber dennoch: Es war ein echter Wasserfall! Ich ging hin und trank erst einmal einen großen Schluck direkt von dem herunterfallendem Wasser und freute mich, wie kalt und frisch das es schmeckte. Eindeutig: Das beste Wasser, was ich je getrunken hatte. Zurück beim Zelt fing mein Freund auch schon an eine Feuerstelle vorzubereiten, denn wir brauchten einen Platz zum kochen, wenn wir hier bleiben wollten. Als diese Arbeit getan war, gingen wir erstmal eine Runde.
Der erste Tag in Beneficio hätte schöner nicht sein können. Wir aßen frische Kaktusfeigen, die wir direkt vom Kaktus ernteten (mit der Folge, dass wir viele, viele kleine Stacheln in der Hand und einen atemberaubenden Geschmack im Mund hatten), badeten nackt in einem kleinen See, kletterten auf Berge, musizierten mit unseren Nachbarn und tauschten Geschichten übers Reisen aus. Der Abend ging zu ende und wir kochten zusammen auf dem Gaskocher unserer Nachbarn, als diese anfingen uns Tipps zu geben. Man solle lieber nicht im Wasserfall duschen, wenn man offene Wunden hätte, da das halbe Dorf krank sei und die Kranken oberhalb des Wasserfalls ihre Teller und sich selbst mit Spüli waschen. Wir sollten offene Wunden sofort abkleben, da sonst die Fliegen die Krankheit übertragen würden. Sie erzählten, dass überall menschliche Fäkalien herumlägen, weil es nicht annähernd genug Toiletten gäbe. Das mit den Fäkalien fand ich schon ein bisschen eklig, der Rest war mir erstmal relativ egal, weil ich keine offenen Wunden hatte und weil ich das Geschwätz unserer Zeltnachbarn ehrlich gesagt für etwas „etepetete“ hielt.
Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass tatsächlich viele Dorfbewohner an einer Krankheit litten, die dafür sorgt, dass offene Wunden nicht gut verheilen und offen bleiben. Das Problem wurde nicht gelöst, da sie keinen Arzt im Dorf hatten und auch zu keinem Arzt gehen wollten. Teilweise aufgrund von finanziellen Problemen, teilweise aus der Überzeugung heraus, dass alles was von der Natur käme auch von ihr wieder genommen würde. Meiner Meinung nach totaler Schwachsinn. Das funktioniert vielleicht bei einem Schnupfen aber nun mal nicht bei derartigem Bakterienbefall. Den Tag über wurde mir immer klarer, dass vieles im Paradies gar nicht so schön ist, wie es scheint. Ein Großteil der Dorfbewohner war sehr dünn. Das lag nicht nur daran, dass sie zwangsläufig viel klettern mussten, da sie in den Bergen wohnten, sondern auch daran, dass sie nicht genug zu essen hatten. Obwohl das Dorf seit mehr als dreißig Jahren(!) besteht, ist dort noch niemand auf die Idee gekommen selber etwas zu essen anzubauen. Das verstehe ich schlichtweg nicht. Wenn ich auf die Idee käme, eine eigene Dorfgemeinschaft zu gründen, dann wären die ersten beiden Dinge an die ich denken würde doch Acker- und Toilettenbau. Am besten noch ein Kompostklo oder so etwas in der Art. Einen Kreislauf erstellen, damit das alles auch nachhaltig ist. Aber nein, in ganz Beneficio gab es vielleicht eine handvoll Menschen, die ein paar wenige Nutzpflanzen hatten. Der Rest ging regelmäßig in das nächstgelegene Dorf und bettelte um Geld und Essen. Teilweise verkam sogar Essen, welches in Beneficio vorhanden war. So fanden wir zum Beispiel einen großen Feigenbaum auf einem Berg relativ nah am „Zentrum“ von Beneficio, bei dem schon mehr als die Hälfte aller Feigen auf dem Boden lag und vergammelte. Wir konnten uns zu sechst von den Früchten, die der Baum noch trug satt essen und es war noch genug für mindestens 30 weitere Menschen vorhanden.
Eine weitere Sache war die, dass es eine Küche gab, die von allen genutzt werden konnte. Sie wurde mit Gas betrieben. Einmal kochen kostete 20 Cent. Eigene Feuerstellen waren nicht erlaubt, da es ein paar Jahre zuvor einmal einen Wurzelbrand gegeben hatte, der in der Nacht zu einem riesigen Feuer wurde. So tragisch diese Geschichte auch ist, so kann die Konsequenz doch nicht sein nur noch mit Gas zu kochen, welches bei den Temperaturen im spanischen Sommer leicht explodiert. Man müsste den Leuten beibringen, wie man richtig Feuerstellen baut. Workshops anbieten, Arbeitsgruppen bilden. Selber einige Feuerstellen bauen. Bei insgesamt 700 Leuten im Sommer sollte das doch möglich sein, oder?
Ich verstehe den Ansatz, dass es sich ja um ein anarchistisches Dorf handelt und dass es deshalb keine „Organisations-Gruppe“ oder ähnliches gibt. Man will niemanden, der mehr zu bestimmen hat, als jemand anderes. Den Gedankengang kann ich nachvollziehen. Aber wenn man dieses Leben leben möchte, warum trifft man sich dann nicht mit allen Dorfbewohnern und bespricht wie es weiter gehen soll? Leitet Projekte wie das Errichten von Feuerstellen, Toilettenbau, medizinische Fortbildungen oder auch Ackerbau in die Wege? So etwas macht für mich eine funktionierende Gesellschaft aus. Denn, wenn jeder nur an sich selber denkt und andere dabei rücksichtslos auf der Strecke bleiben, dann ist die Umsetzung der Idee leider gescheitert.
P.s. Ich will auf keinen Fall Hippie-Dörfer im Allgemeinen schlecht machen. Mit diesem Artikel möchte ich lediglich meine Erfahrungen, die ich in diesem einen Dorf gemacht habe, teilen. Ich denke, dass es viele gute und funktionierende Gemeinschaften gibt, gerade in Spanien. Um so enttäuschter war ich, die vielen „Mängel“ in Beneficio zu sehen. Dennoch war mein Besuch dort schön und ich werde ihn nie vergessen. Ich hatte die Möglichkeit mit vielen verschiedenen Menschen von überall zu sprechen, die wunderschöne Natur zu genießen und einfach mal Ruhe zu haben. Das alles an einem Ort ist sehr selten. Trotzdem gibt es viele Verbesserungsansätze und Vorschläge meinerseits. Ob diese nun gewollt sind oder nicht.