Konsum- und Gesellschaftskritik · Nachdenkliches

„Was man nicht mitteilen konnte war nicht, es gab uns nur im Spiegel von anderen“

„Was man nicht mitteilen konnte, war nicht. Es gab uns nur im Spiegel von anderen.“

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Lisa Spreckelmeyer „Writing a handwritten letter Vol. 2“
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Dieser Satz aus dem Buch „Zweier ohne“ von Dirk Kurbjuweit beeindruckt mich. Er beschreibt irgendwie das große Problem der Jugend und vielleicht auch der heutigen Gesellschaft.

 Ich war schon immer ein Mensch, der sehr viel nachdenkt. So auch in der harten Phase meiner Pubertät. Stundenlange Langeweile quälte mich während andere Tage nur so vor Terminen strotzten. Es gab kein spezielles Problem, dessen Lösung ich finden musste. Kein Rätsel, dessen Antwort ich ersuchte. Ich lag einfach da und mein Hirn dachte stundenlang über Dinge nach. Über die Farbe des Wassers. Darüber, dass Menschen von Regentropfen geleitet werden. Über das Selbstbild einer Person und was für eine Bedeutung es hat. Damals wie heute schreibe ich meine Gedanken auf. Dadurch werden sie irgendwie real. 

 

Ein Gedanke ist flüchtig. Man hat sie und bevor sie genauer werden sind sie schon wieder fort. Manche findet man in Träumen wieder, andere fliegen für immer weg, andere kommen einem immerzu in den Sinn und wollen einfach nicht verschwinden. Ein Gedanke ist ein Herzstück. Ist das Herzstück. Gedanken machen uns zu dem was wir sind. Keiner kann sie erraten, wir können sie nur preisgeben oder geheim halten. Doch Gedanken sind nun einmal flüchtig. Und jeder von uns weiß, dass selbst eine intensive gedankliche Auseinandersetzung mit einem Thema in zehn Jahren vergessen wäre. Wäre da nicht eine Verwendungsmöglichkeit.

Ein Gedanke braucht etwas an dem er sich festhalten kann. Dort kann er alt werden, reifen, vielleicht aber auch jung bleiben. Als Felsen im nebligen Meer der ständig wechselnden Gedanken kann so einiges dienen. Wir schreiben Tagebücher um unsere Gedanken, die wir nicht preisgeben aber auch nicht vergessen wollen zu behalten. Es gibt Bücher, Blogs, Zeitschriften und Magazine um Gedanken publik zu machen, einen Gedankenaustausch zu ermöglichen. Wichtig ist auch das Gespräch. Sobald wir einen Gedanken aussprechen wird er irgendwie, als wäre es Magie, zu einer festen Größe. Dadurch, dass man uns zuhört, vielleicht antwortet festigt sich der Gedanke und wird zu Erinnerung an das Gespräch. 

 

„Was man nicht mitteilen konnte, war nicht“. Damals hatten war noch nicht begriffen, dass ein ich aus mehr besteht als der Spiegel durch andere. Man nutze Gedanken um sich selber darzustellen. Es sollte ein Bild erzeugt werden, dass einem gefiel und der Selbstwahrnehmung möglichst nahe kam. Vielleicht auch ein Bild, dass ihr komplett widersprach. Das Problem ist, damals war die Selbstwahrnehmung noch viel stärker von der Wahrnehmung durch andere geprägt. Man war jung, unsicher. Der sichere Umgang mit Gedanken war noch nicht an trainiert. Man musste alles irgendwie mitteilen, war noch nicht richtig in der Lage zu differenzieren und dann allzu häufig unglücklich mit dem erzeugtem Spiegelbild. Doch vielleicht geht es ja gerade darum. Die im Chaos des Erwachsenwerdens verwirrten Gedanken so zu ordnen, dass man seinen eigenen Spiegel voll Stolz tragen kann?

 

 

                                                                                      

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